ÜBER MICH

Ich bin ein Kind des kalten Krieges. Das fing schon mit meinem Geburtsjahr 1961 an. Auch wenn ich am 31. Dezember das Schlusslicht bin, so erblickte ich dennoch im Jahr des Mauerbaus das Licht der Welt. Das mit dem kalten Krieg ging gleich so weiter: Meine Mutter arbeitete - wie meine Oma auch - im mittelfränkischen Ansbach, meinem Geburtsort, bei den Amerikanern. Mein Vater spricht von Haus aus Deutsch, aber auch Russisch und Polnisch. Er reiste erst 1957 aus dem polnisch besetzten Oberschlesien aus. Zweisprachige Erziehung - undenkbar zu jener Zeit.

Der kalte Krieg sorgte dafür, dass ich mit zehn Jahren meine Heimat verlassen musste, um im Fichtelgebirge eine neue zu finden. Das lag damals, 1972, mitten im Nirgendwo. Knapp 20 Kilometer entfernt von der hermetisch abgeriegelten Grenze zur Tschechoslowakei, wie Tschechien damals noch hieß. Und 50 Kilometer trennten mich von der DDR. Es gab von Marktredwitz aus, wohin meine Eltern zusammen mit mir sowie meinem Bruder und meiner Schwester umgezogen waren, also nur einen Weg: den nach Westen. Naja, nach Süden ging's auch noch.

Den kalten Krieg erlebte ich fortan hautnah, zumal mein Vater auf dem Schneeberg als Zivilist arbeitete und den Luftraum über dem "bösen, kommunistischen Osten" abhorchte.

Auf meine schulische Laufbahn hatte der kalte Krieg indes keinen Einfluss. Ich mogelte mich hoch bis zur Mittleren Reife, drehte aus Faulheit und weil ich ein Spätzünder war, eine Ehrenrunde und schaffte noch eine glatte Zwei im Abschluss-Zeugnis. Wäre es nach meiner Stenografie-Lehrerin gegangen, hätte ich in deren Fußstapfen treten sollen. Es war - außer Sport - das einzige Fach, in dem meine schlechteste Note, so weit ich mich erinnere, eine Eins minus war. Ich zeigte meiner Lehrerin die Rote Karte und wollte Journalistin werden. Deutsch lag mir schließlich auch. Die Stenografie allerdings kommt mir noch heute zugute, zumal ich meine Gesprächspartner perfekt zitieren kann und mir obendrein eine recht passable Handschrift bewahrt habe - im Gegensatz zu vielen Kollegen.

Ohne Abi kein Journalismus. Also behalf ich mir erst einmal eineinhalb Jahre mit einer Bürolehre, die das Langweiligste war, was mir je hätte passieren können. Bis auf den Umstand, dass ich 20 Prozent Rabatt auf meinen Führerschein bekam, zumal ich meine Ausbildung in einer Fahrlehrer-Ausbildungsstätte machte. Während dieser eineinhalb Jahre nervte ich den Chef vom Dienst bei der Frankenpost jede Woche. Bis ich ihm mit meiner Hartnäckigkeit dermaßen auf den Geist ging, dass er mich nach Vorsprache beim Chefredakteur schließlich einstellte. Er meinte, dank dieser Hartnäckigkeit könnte ich durchaus eine ordentliche Journalistin werden. Das passte gut, weil die eineinhalb Jahre Lehre gerade hinter mir lagen.

Im gleichen Jahr meiner Einstellung - 1981 - lernte ich meinen späteren Mann Harald Jäckel kennen, den jeder nur Chap nannte. Er hatte ein halbes Jahr nach mir mit seinem Volontariat begonnen. Wir arbeiteten einige Jahre gemeinsam im selben Büro, engagierten uns in der Gewerkschaft, gingen für unsere Rechte auf die Straße und forderten eine vernünftige Ausbildung für den journalistischen Nachwuchs. Chap und ich verstanden uns immer blendend. Allerdings nur auf rein kollegialer Basis. Ich war liiert, er war verheiratet. Wir verbrachten aber auch viel Freizeit miteinander, spielten zusammen Tennis in den Mittagspausen. Nach einigen Jahren trennten sich unsere beruflichen Wege. Wir arbeiteten in unterschiedlichen Redaktionen, aber nach wie vor für die Frankenpost

Und da war er dann wieder: der kalte Krieg. Nur diesmal mit einem Happyend. Der Fall der Mauer 1989 war für mich eines der prägendsten Erlebnisse, das mich über viele Jahre auch beruflich begleitete - bis heute. Die abgeschnittene Region, in der wir seit Jahrzehnten lebten, war plötzlich in die Mitte Deutschlands, ja, Europas gerückt. Wir waren mittendrin, atmeten und schrieben Geschichte. Tausende von Trabis überrollten uns über Wochen, unsere Zeitung war das erste westdeutsche Blatt, das in der DDR unter damals unglaublich verrückten Bedingungen berichtete. Chap stieg auf zu einem der Chefs im Osten, leistete journalistische Aufbauarbeit. Ich blieb im Westen und hatte plötzlich viele neue Kollegen, die zuvor immer mit der Schere im Kopf hatten arbeiten müssen. Es war eine bewegte Zeit mit großen Herausforderungen.

Wann genau es zwischen Chap und mir funkte, kann ich auch nicht mehr so genau sagen. Aber es funkte eben. Bei beiden. Ich hatte mich von einer langjährigen Beziehung gelöst und lebte ein Jahr lang allein. Und kurz nach dem Jahrtausend-Wechsel stand Chap plötzlich vor meiner Tür. Damit begannen meine, unsere glücklichsten Jahre. Chap war als Reporter häufig für Sex and Crime zuständig, hin und wieder arbeiteten wir auch gemeinsam. Vor allem dann, wenn der unsägliche Aufmarsch der Nazis zu Rudolf Heß' Todestag anstand und die kleine Stadt Wunsiedel von dem braunen Mob heimgesucht wurde. Zusammen mit der Frankenpost zeigten wir Flagge gegen Rechts.

Chaps hervorragende Arbeit - er war für mich ein Vorbild im Kampf um Gerechtigkeit - wurde mit mehreren Journalistenpreisen belohnt. Für zwei Reportagen über einen Friseurmeister - "Meister und Model" sowie "Haarige Sache" - wurde ich 2010 mit dem BoB - Busines of Beauty 2009 - ausgezeichnet, dem deutschen Medienpreis Friseur. Dieser zweite Platz war mit 5000 Euro dotiert.

Chap und ich waren ein perfektes Team, wenn es ums Arbeiten ging. Im privaten Leben sowieso. In den vierzehneinhalb Jahren, die wir zusammen lebten, gab es nie ein böses Wort. Jeder konnte seine Freiheiten und Hobbys genießen, aber am liebsten taten wir es doch gemeinsam, vor allem, wenn Chap in seinen zwei Bands hinter dem Schlagzeug wirbelte und ich die Tanzfläche eroberte. Ich hatte ihn sofort mit meinem Reise-Virus infiziert, und wir flogen kreuz und quer durch die Welt, um neue Kulturen, fremde Völker, Natur und Tiere kennenzulernen. Mit 60 und 63 Jahren wollten wir aufhören zu arbeiten, um mit einem Wohnmobil durch die Welt zu reisen.

Chap und ich
Chap und ich

Da kam der Schlag in die Magengrube wie aus heiterem Himmel im Oktober 2013: Lungenkrebs. Von einer Sekunde auf die andere war unser Leben auf den Kopf gestellt. Alles drehte sich. Chap kämpfte wie ein Löwe, ließ Operationen, Bestrahlungen und Chemos tapfer und voller Hoffnung über sich ergehen. Ich war in diesen Monaten häufig nicht mehr fähig, zu arbeiten, fuhr von einer Klinik in die nächste, um bei ihm zu sein. Die Ärzte hatten kein Wort davon gesagt, dass es kaum mehr Zeit geben würde. Plötzlich ging alles ganz schnell. Mit letzter Kraft gab Chap mir sein Jawort, um das er mich am 18. Januar 2014 gebeten hatte. Wir schafften es nicht mehr bis zu unserem Hochzeitstermin am 28. April. Am 21. April 2014, Ostermontag, starb Chap neun Stunden nach unserer Nottrauung in meinen Armen. Eine Welt brach für mich zusammen.

Es war für mich unmöglich, zur Tagesordnung überzugehen. Ich konnte und wollte nicht mehr an all den Schauplätzen sein, an denen wir so glücklich gewesen waren. Mein Chef gab mir das Okay für ein Jahr Auszeit. Nachdem ich unser 150 Quadratmeter großes Heim aufgelöst und einen kleinen Teil der übrigen Möbel untergestellt hatte, machte ich mich am 30. November 2014 mit einem One-Way-Ticket und meinem Rucksack auf nach Panama. Ich wollte nur noch weg.

Es war die beste Entscheidung, die ich hatte treffen können. Auch wenn der Schmerz über den Verlust meines geliebten Chap noch immer tief sitzt. Nach elf Monaten Reisen durch fünf Kontinente kehrte ich mit wunderbaren, oft unglaublichen Erlebnissen zurück nach Deutschland. Als Redakteurin kehrte ich ebenfalls zurück, wieder zur Frankenpost.

All meine Abenteuer habe ich nun in meinem erstes Buch "Mit Leo zwischen den Ozeanen" aufgeschrieben, das im Mai 2016 erscheint.



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